Trachyt trifft Kölner Do... Trachyt

Trachyt ist die Basis eines monumentalen Bauwerks: des Kölner Doms. Doch was geschieht hinter den Kulissen, um die beeindruckende Machart und Geschichte des Doms zu erhalten? Unser Autor Daniel Oliver Bachmann hat sich in schwindelerregende Höhen und in die Tiefen der Kölner Dombauhütte begeben

„Mehr als 20 000 Menschen besuchen täglich den Kölner Dom“, erzählt der stellvertretende Dombaumeister Dr. Albert Distelrath. „Daher gleicht die Arbeit unserer Dombauhütte einer Operation am offenen Herzen.“ Wir stehen auf einem himmelhoch aufragenden Gerüst am mittelalterlichen Domchor und sehen dabei zu, wie ein Steinmetz einen Quader aus Trachyt sorgfältig behandelt. Wenn diese Arbeit und alle anderen Restaurierungen keinem auffällt, wurde alles richtig gemacht.

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Vier Stunden zuvor: Als ich aus dem Hauptbahnhof trete, verspüre ich wie immer Ehrfurcht beim Anblick der größten gotischen Kathedrale der Welt. Und wie immer drängt sich der Gedanke auf: Wenn ein Mensch unserer Zeit noch über dieses Bauwerk staunt, wie mag es Menschen vergangener Jahrhunderte ergangen sein? Dem Pilger, der nach langem und gefährlichem Fußmarsch Köln erreichte? Dem Flößer aus dem Schwarzwald, der den Dom schon von Weitem auf seinem Floß aus Tannen erblickte? Wie immer lege ich den Kopf in den Nacken und frage mich, wie haben die Bauleute von damals das nur hingekriegt? Wie immer steige ich die Stufen hinauf zur Domplatte, setze mich andächtig in eine Bank im Mittelschiff und lausche dem halblauten Gemurmel der vielen Besucher. Dann schrecke ich auf. Denn heute wird etwas anders sein als sonst: Ich bin mit Dr. Albert Distelrath und der Leiterin der Steinrestaurierungswerkstatt der Dombauhütte verabredet: Tanja Pinkale.

DER KÖLNER DOM: EIN GENERATIONENPROJEKT

Wir bewegen uns in luftiger Höhe am Domchor. Tanja Pinkale weist auf Fehlstellen im schadhaften Gestein hin und spricht von der Restaurierung der Wasserspeier und des Blattfries. Überall wird retuschiert und aufmodelliert und ich erfahre, wie detailgenau das historische Vorbild dabei bewahrt wird. Behutsam nehmen Steinrestauratoren und Steinmetze mit weichen Pinseln Staub- und Schmutzschichten ab. Ein bisschen wirkt es wie eine Szene aus einem anderen Jahrhundert. Das ist auch ein wesentlicher Punkt: „Wir übernahmen von unseren Vorgängern den Staffelstab“, sagt Dr. Albert Distelrath. „Wenn die Zeit kommt, reichen wir ihn an unsere Nachfolger weiter.“ Kein Wunder, dass Tanja Pinkale pure Begeisterung ausstrahlt, wenn sie von ihrer Aufgabe spricht: „Ich komme jeden Morgen aus dem Bahnhof und empfinde Ehrfurcht!“, sagt sie. „Das ist ein Jahrhunderte währendes Generationenprojekt!“

EINE GEMEINSCHAFT VON HANDWERKERN

Nicht nur ich – die meisten der Besucher stellen sich die Frage: Wie haben die Menschen damals so ein Bauwerk erschaffen? Hier kommt die Dombauhütte ins Spiel: Bereits im Mittelalter war sie eine Gemeinschaft von Handwerkern, die ihre Künste und handwerklichen Fertigkeiten zusammenführten. Inder Dombauhütte wurden Visionen entwickelt, Erfahrungengesammelt und weitergegeben. Schon damals standen die Bauhütten im regen Austausch, und so ist es auch heute: Alle Kathedralen, Münsterkirchen und Dome in Europa profitieren davon, wenn das Wissen um den Erhalt von einer Bauhütte zur anderen übermittelt wird. Daher hat die UNESCO das Bauhüttenwesen als Immaterielles Kulturerbe aufgenommen. Doch fast wäre alles ganz anders gekommen, denn im 16. Jahrhundert erfolgte in Köln ein Baustopp. Dafür gab es viele Gründe: mangelndes Interesse der Erzbischöfe und des Domkapitels, kriegerische Zeiten, ein neuer Stilgeschmack und der Zusammenbruch der Finanzierung als eine Folge der Reformation. Erst im 19. Jahrhundert, nach mehr als 300 Jahren Zwangspause, machte man sich daran, die Kathedrale zu vollenden. Dann allerdings mit Volldampf: In 38 Jahren wurde der Kölner Dom fertiggestellt – eine beachtliche Leistung.

HÖHE DES KÖLNER DOMS

157 Meter

BAUZEIT

1248–1880

ÜBERBAUTE FLÄCHE

7914 Quadratmeter

KOSTEN FÜR DEN ERHALT PRO JAHR

11 Mio Euro

DIE DOM-KENNER

Der Stellvertretende Dombaumeister Dr. Albert Distelrath (links) und die Leiterin der Steinrestaurierungswerkstatt Tanja Pinkale (rechts)

WHERE THE MAGIC HAPPENS

Ein Steinmetz bei der Arbeit in den Werkstätten der Dombauhütte

TRACHYT ALS WICHTIGER BAUSTEIN

„Es ist ein schöner Stein, mit heller, leicht grünlicher Oberfläche, aus der Sanidin-Kristalle glänzend herausstrahlen.“ So enthusiastisch beschrieb der ehemalige Dombaumeister Arnold Wolff vor einem halben Jahrhundert den Drachenfels-Trachyt. Dabei musste und muss Trachyt am Dom viel aushalten: Erschütterungen durch Erdbeben und den ewigen Betrieb des nahen Bahnhofs. Bomben im Zweiten Weltkrieg. Sauren Regen in den 1980er-Jahren, die Folgen der Erderwärmung heute. Zum Glück bringt der Trachyt eine „wunderbare Qualität“ mit, erläutert Tanja Pinkale, „wenn auch mit hohem Wartungsaufwand.“ Dafür sorgen die Handwerker der Dombauhütte in vielen Gewerken. Allein im Steingewerk tummeln sich Steinmetze, Steintechniker, Steinbildhauer, Steinrestauratoren und Versetzsteinmetze. Sie kümmern sich um die 60 verbauten Steinsorten mit Trachyt als wichtigstem Stein für nahezu alle Pfeiler, Mauern und Skulpturen der mittelalterlichen Bauperiode. Bis ins 19. Jahrhundert gewann die Dombauhütte den Trachyt aus ihrem Steinbruch am Drachenfels im Siebengebirge. Heute wird für die Restaurierungsarbeiten viel Trachyt aus dem italienischen Montemerlo verwendet.

AUF DEM HÖCHSTEN STAND DER TECHNIK

Wenn Tanja Pinkale und ihre Kollegen die Verwitterung am Gestein mit Hilfe von Rasterelektronenmikroskopen und Röntgenanalysen ermitteln oder die Salzgehalte von Probebohrungen an Pfeilern analysieren, wird deutlich, wie sehr moderne Restaurierung moderner Kriminaltechnik ähnelt: Es geht darum, Bösewichten auf die Spur zu kommen. Die sorgen am Bauwerk für partielle, lokal begrenzte oder große Schäden und hören auf Namen wie Rissverlauf, Bruch, Gesteinsverlust, Saumpore oder Schalenbildung. Diese werden von den Experten der Steinrestaurierungswerkstatt ausgewertet und anschließend mit modernster Technik bekämpft. So kommen bei der Reduzierung von Krusten gepulste YAG-Laser oder Strahlpistolen, die mit Hochofenschlacke den Stein reinigen, zur Anwendung. Das unterstreicht, was Dr. Albert Distelrath gleich mehrfach betont: „Wir sind kein Museumsbetrieb.“ Auch wenn die Dombauhütte eine Schmiedeesse mit offenem Feuer unterhält, die mir besonders gut gefällt, geht es sehr modern zu. Trotzdem bin ich fasziniert, wenn mittelalterliche Alchemie aufblitzt: Zum Beispiel bei uralten Rezepturen für Mörtel. Tanja Pinkale berichtet von Zuschlagsmischungen, Fullersche Sieblinien und Märker Trass, und erneut kann ich sie spüren, die Begeisterung für eine Arbeit, die ihresgleichen sucht: 1996 verlieh die UNESCO der Hohen Domkirche den Titel Weltkulturerbe. Damit sind die Operationen am offenen Herzen durch die Dombauhütte als Werk für die gesamte Menschheit einzustufen. Und offenbar weiß das die Menschheit zu schätzen – sonst kämen nicht so viele Besucher, die über das einzigartige Bauwerk morgen genauso staunen sollen, wie sie es heute tun und gestern taten.

IN NEUEM LICHT

Als ich nach einem langen Besichtigungstag nochmals auf einer Bank im Mittelschiff Platz nehme, ist für mich einiges gleich und vieles anders. Das unwirkliche Licht ist dasselbe wie heute morgen, und auch das halblaute Gemurmel der Besucher. Doch nun kenne ich, was Amerikaner „The story behind the story“ nennen, die Geschichte hinter der Geschichte. Sie sorgt dafür, dass sich meine Sicht auf den Kölner Dom und die Arbeit der Dombauhütte für immer verändert hat.

Ihr Ansprechpartner

Brigitte Beppler